Banker und auch deren IT-Dienstleister stecken in einer gedanklichen Klemme. Sie haben seit Jahrzehnten gelernt, dass sie Sicherheit und Vertrauen nur in einem geschlossenen Kreislauf darstellen können. Es wurden große proprietäre Bankenverfahren entwickelt, die in sicheren und abgeschotteten Netzen betrieben werden. Doch die Kunden wollen mehr und stellen die Banken damit vor die Herausforderung, dass Ihnen der Spagat zwischen diesen unbeweglichen Tankern und den Anforderungen des Marktes immer weniger gelingt.
Egal, ob es die Nutzung mobiler Endgeräte, die nahtlose Anbindung an soziale Netzwerke oder die Schaffung neuer innovativer Geschäftsmodelle ist – immer ist die Umsetzung mit den bestehenden Bankverfahren schwierig und bedarf teilweise jahrelanger Entwicklungen. Oft genug ist der Zug dann schon längst abgefahren.
Andere Anbieter, die sich deutlich weniger Gedanken um Sicherheit und Vertrauen machen, erstellen Anwendungen und Tools, die von den Anwendern aufgrund ihrer Einfachheit akzeptiert werden. Wenn überhaupt, dann versucht die Bankbranche, diese Tools zu kopieren und baut wieder ein proprietäres eigenes System. Aktuelles Beispiel ist dabei der Versuch der deutschen Banken, PayPal zu kopieren und als eigene Lösung zu etablieren. Mit weniger Funktionen gegen einen extrem großen Marktanteil mit weiteren Playern wie Apple, Google und Facebook mit einer eigenen Lösung angehen zu wollen, scheint zumindest ein extrem schwieriges Unterfangen zu sein.
Obwohl die Rechenzentralen mit ihren Kernbankverfahren ausgereifte Systeme mit einer hohen Marktdurchdringung anbieten können (so sind z.B. alle Sparkassen in Deutschland mit “OSPlus” der Finanz Informatik ausgestattet, alle Volksbanken werden in den nächsten Jahren “agree21” der Fiducia & GAD IT AG haben), befinden sie sich in einem Innovationsdilemma: alles, was sie anbieten, ist auf die jeweilige Bankengruppe beschränkt – und jeder kämpft täglich für die Verbesserung seines eigenen Systems. Bei den Großbanken ist es nicht anders.
Innovation wird immer noch so verstanden, dass funktionale Verbesserungen für die Bank im Vordergrund stehen, wenn sie nicht durch regulatorisch nötige Änderungen “hinten herunterfallen”. Neue Technologien, wie z.B. Mobilgeräte, bindet man nur mit viel Mühe an.
Wie kann also ein Ausweg aussehen? Sehen wir uns dazu ein Beispiel aus der Welt der digitalen Konkurrenz an – Google Maps. Als dieses Produkt auf den Markt kam (übrigens “erst” 2005, also vor gerade einmal 10 Jahren), gab es diverse Tools, die Karten bereitgestellt haben. Sie waren in der Regel (Achtung, Parallele) proprietäre Systeme, die lokal auf dem Rechner zu installieren waren. Vom Leistungsumfang waren sie Google teilweise deutlich überlegen, sie konnten Routen planen oder auch Satellitenbilder auf diversen CD’s oder DVD’s bereitstellen – teilweise zu der Zeit ein großer Renner bei den Anwendern.
Heute ist Google Maps quasi der Marktstandard und bildet die Basis für eine riesige Anzahl von innovativen Anwendungen, die Google selbst niemals hätte selbst bereitstellen können. Die prorietären System auf dem eigenen Rechner braucht und will niemand mehr. Plötzlich hatten ganz viele Entwickler von Software Ideen, wie man Landkarten für die eigenen Anwendungen nutzen kann – inzwischen nennt man diese Kategorie “ortsbasierend”. Quasi alle wichtigen Anwendungen dieser Kategorie nutzen Google Maps. Doch was ist das große Geheimnis dieses Erfolges? Schlicht und einfach die “API” (Application Programming Interface) – eine Schnittstelle, über die jeder Anwendungsentwickler Google Maps ganz leicht in seine eigenen Applikationen einbinden kann.
Im Prinzip haben die Banken auch eine solche “API” – sie ist allerdings schon ziemlich alt und kompliziert anzusprechen: HBCI (Homebanking Computer Interface) bzw. FinTS (Financial Transaction Service) als Weiterentwicklung. Die Schnittstelle stammt zum einen aber aus einer Zeit, in der Homebanking am heimischen PC im Vordergrund stand und zum zweiten wird sie längst nicht von allen Banken angeboten. Oft gibt es für die Homebanking-Programme nur die Möglichkeit, die Daten vom Bildschirm automatisiert auszulesen – mit entsprechenden Fehlerquoten. Die Schnittstelle ist eben auch auf die hauptsächlichen Homebanking-Funktionen beschränkt: Umsätze und Salden abholen, Überweisungen beauftragen. Innovative Geschäftsmodelle lassen sich damit nicht aufbauen. Kundenfreundlich ist die Schnittstelle sowieso nicht und technisch ist das Ganze von aktuellen Standards weit entfernt, aber das würde zu weit führen.
Will im Vergleich dazu ein Entwickler auf PayPal-Daten in seiner Anwendung zugreifen, so geht das über die API relativ einfach. Der Kunde meldet sich innerhalb der Anwendung des (Fremd)entwicklers mit seinen PayPal-Zugangsdaten an, gibt PayPal einmalig die Berechtigung, die Daten an den Anbieter weiterzuleiten und das war es. So auf die Daten eines deutschen Bankkontos zuzugreifen: schlicht unmöglich.
Würde sich die Banken-IT nun über entsprechende API’s öffnen, könnten innovative Dritthersteller eigene Geschäftsmodelle auf Basis der bestehenden Kernbankverfahren aufbauen. Im Hintergrund würde ein (proprietäres) Bankensystem einen Zahlungsverkehr, eine Kreditabwicklung oder ein Wertpapiergeschäft abwickeln. Im Vordergrund beim Kunden läuft eine innovative Anwendung eines Drittherstellers.
Doch wo ist der Vorteil für die Banken? Man könnte denken, sie würden ja damit Drittherstellern überhaupt erst ermöglichen, ihr Geschäft anzubieten. Doch die Denkweise ist grundsätzlich falsch. Wenn ein solcher Service nicht allgemein zugänglich von den Banken angeboten wird, macht es jemand anders. Beispiele dafür gibt es inzwischen genug – dann wird eben im Hintergrund eine Schnittstelle von PayPal, Apple Pay, Google, Facebook oder (noch) kleineren Anbietern, wie z.B. Holvi (siehe auch diesen Beitrag) angesprochen. Durch eine Verweigerungshaltung wird die Innovation am Markt nicht gestoppt – diese Zeiten sind lange vorbei.
Ganz im Gegenteil – die Banken könnten mit der Abwicklung der Geschäfte im Hintergrund entsprechende Einnahmen erzielen. Dies ist die eigentliche Stärke der Banken: sichere und zuverlässige Abwicklung von Finanzgeschäften. Warum sollten diese Dienstleistung nicht auch andere Anbieter vermarkten.
Daneben könnten sie ihre eigene API’s nutzen, um selbst schneller am Markt reagieren zu können und neue Dienste quasi aus bestehenden Funktionen “zusammen zu mixen”. Die eigene Banken-IT wäre schneller und innovativer, weil nicht immer erst der Tanker auf neuen Kurs gebracht werden müsste, sondern man ein schnelles kleines Boot aussetzen könnte. So kann man auch leichter einmal neue Häfen ansteuern – im Zweifelsfall war das Invest überschaubar und ein Rückbau einer doch nicht benötigten Funktion könnte unterbleiben.
Es gibt bereits Banken, die dieses Problem verstanden haben und aktiv umsetzen: so haben die französischen Banken “Fédération Nationale du Crédit Agricole” und “Axa Banque” kurz nacheinander entsprechende API’s angekündigt. So hat die Axa Banque sogar einen Wettbewerb auf Basis dieser API in Höhe von 50.000€ ausgeschrieben, in der sie innovative Anwendungen auf Basis ihrer API sucht. Dort hat man verstanden, dass man es auf Dauer nicht aus eigener Kraft schaffen wird, für die Kunden immer die besten Applikationen zu bauen. Man holt sich Innovation von außen und öffnet sich damit für andere Anbieter.
Es wird Zeit, dass sich die deutschen Banken-IT-Anbieter schnell Gedanken dazu machen, wie sie ihre Systeme so öffnen, dass bei neuen Ideen am Markt die Anbieter bei einzubindenden Finanzdienstleistunggeschäften auf die APIs Ihrer Bank zugreifen können.
Was wäre es doch für die Banken für eine schöne neue Welt, wenn z.B. in einer Reisebuchung als Zahlungsmöglichkeit gleich “12 Monatsraten á x €” als Auswahlmöglichkeit bereit ständen und im gesamten Prozess nur der Reiseanbieter als ein Vertragspartner auftreten würde. Der gesamte Kreditvertrag inklusive der Abwicklung wird im Hintergrund vollautomatisch bei einem angeschlossenen Kreditinstitut im Namen des Reiseveranstalters abgewickelt, der in seinem System nur noch ein paar API-Aufrufe einbauen muss. Nach dem heutigen Geschäftsmodell der Banken müssen Reiseveranstalter und Bank entweder umständliche Schnittstellen mit hohem Aufwand bauen, und die Abwicklung erfolgt dann komplett durch die Bank – oder er gründet lieber gleich eine eigene Bank. Die Automobilhersteller haben es übrigens vor rund 20 Jahren so gemacht und betreiben heute fast alle eigene Banken, die für die etablierten Banken heute harte Konkurrenten sind.