Ich hatte letztes Jahr im September das erste Mail über Holvi berichtet. Damals lag eine Ankündigung vor, inzwischen ist die Plattform in Deutschland freigeschaltet. Doch was ist das Besondere an diesem Tool? Ein Bericht von meinem ersten Test.
Kurz zusammengefasst: es ist ein Alternativmodell für kleine Betriebe oder Freiberufler zur klassischen Bankverbindung. Man bekommt eine neue Bankverbindung, eine frei wählbare Anzahl von Konten und dazu zum Start nach Bedarf einen Onlineshop, eine Spesenabrechnung, die Buchhaltung inkl. Auswertungstools und ein Modul zum Schreiben von Rechnungen. Alles ist natürlich miteinander verdrahtet.
Und wie läuft das Ganze nun ab?
Wenn man sich anmeldet, bekommt man direkt eine IBAN/BIC zugeteilt und kann loslegen. Die Prüfung der Personendaten ist zunächst nicht nötig. Man kann den Shop anlegen, Rechnungen schreiben und sogar Geld auf das Konto ohne Identitätsprüfung überweisen. Um weitere Funktionen nutzen zu können, muss man sich dann verifizieren. Dies passiert, indem man ein Passdokument und eine aktuelle Rechnung von einem Versorger hochlädt. Stellt sich die Frage, was die deutsche Abgabenordnung dazu sagt, die den Banken eine vollständige Legitimationsprüfung bei Kontoeröffnung auferlegt.
Was sofort gegenüber dem klassischen Bankkonto auffällt: die Vernetzung mit der E-Mail. Man bekommt schnell E-Mails mit Statusreports zum Konto (und den Buchhaltungsinformationen) und sieht sofort, wenn auf dem Konto etwas passiert ist – ohne sich erst in das System einloggen zu müssen. So sieht ein wöchentlicher E-Mail-Statusreport zum Konto aus:
In der Anwendung kann ich nicht nur alleine arbeiten, sondern auch Mitarbeiter mit verschiedenen Berechtigungen einrichten.
Mit dem Konto kommen verschiedene Funktionen automatisch dazu:
- Online-Shop: Man kann einen einfachen Shop einrichten und hat gleich eine Bezahlfunktion. Kreditkarten, Sofort-Überweisung etc. sind automatisch mit dabei – in der aktuellen Phase ist dies auch der einzige Kostenpunkt. Von jeder Transaktion werden rund 3% einbehalten. Wer sich das anschauen will: https://holvi.com/shop/gumbishop/
- Rechnungen: Man kann Rechnungen erstellen und direkt an den Empfänger per E-Mail zusenden lassen bzw. selbstverständlich auch als PDF drucken und auf klassischem Wege versenden. Das Konto kennt dann die gestellten Rechnungen und kann bei Zahlungseingang automatisch diesen der Rechnung zuordnen.
- Spesen: Will man einem Mitarbeiter Spesen erstatten, kann man ihm einen einmaligen oder dauerhaften Link generieren. Der Mitarbeiter kann dann die Belege erfassen und hochladen – die Überweisung und Verbuchung ist dann nur noch ein Mausklick.
- Buchhaltung: Man kann sämtliche Zahlungen vorher erstellten Kategorien zuweisen und diese sogar vorher budgetieren. Es wird ein auf den ersten Blick umfangreiches Set an Berichten mitgeliefert, die sofort benutzt werden können. Sogar Excel-Berichte sind dabei, so dass man die Daten dann selbst auch noch nach eigenen Bedürfnissen aufbereiten kann.
- Zahlungsverkehr: Selbstverständlich geht das banale Kontogeschäft natürlich auch: Überweisungen ausführen, Geld auf das Konto einzahlen (auch per Sofort-Überweisung), Kontoauszüge ziehen usw.. Benötigt man ein neues Konto, so ist dies mit wenigen Klicks erledigt. Keine Wartezeiten, keine Unterschriften, sofort nutzbar.
Das sogenannte Dashboard gibt einem einen guten Überblick über die aktuelle Lage:
Das ganze Angebot ist derzeit noch in einer ersten Startphase, macht aber schon einen ziemlich runden Eindruck. Sicherlich werden weitere Funktionen noch dazu kommen. Auch stellt man beim ersten Test fest, dass das Angebot noch nicht ganz „rund“ ist. Wenn der Kunde beispielsweise bei einer Rechnung weniger als den geforderten Betrag bezahlt, kann man nichts stornieren, ausbuchen oder mahnen. Auch Schnittstellen zu anderen Systemen existieren noch nicht. Manche Masken haben noch ein paar finnische Inhalte. Aber solche Probleme werden sicherlich (zum Teil) angegangen und sich mit weiteren Versionen klären.
Die Idee an sich ist einfach sehr verlockend – man hat alles an einer Stelle und eine bisher für mich noch nicht gesehene Verzahnung des Bankkontos mit Zusatzfunktionen. Sicherlich kann man dies mit Lexware & Co. auch schon länger (und aktuell sicher umfangreicher) hinbekommen, hat aber immer die lästige Schnittstelle zum Bankkonto. Und man kann die Software nur mit lokaler Installation benutzen.
Die Frage ist natürlich, ob ich „mein“ Geld dieser Firma anvertraue (sie haben eine Lizenz von der finnischen Bankenaufsicht) und wie es abgesichert ist. Die Frage stellt sich aber bei einer Firma PayPal genau so und wird von ganz vielen Shopbetreibern (vielleicht notgedrungen) mit „Ja“ beantwortet.
Eines ist aber sicher: solche Modelle sind für den Kunden nach Klärung der grundsätzlichen Fragen extrem attraktiv. Und sie bieten bereits jetzt einen extremen Mehrwert gegenüber dem verstaubten Girokonto – die Banken können sich bei solchen Wettbewerbern warm anziehen.
Nebenbei: der Name „Girokonto“ kommt übrigens aus dem Italienischen. „Giro“ steht für „Kreis“, „Drehen“ oder „Umlauf“. Der Begriff wird von den Banken aktiv benutzt (GiroKonto, GiroPay, GiroGo, etc.) und spiegelt damit auch leider die bisherige Ideenwelt der Banken wieder.
Dabei ist der in den Köpfen der Bankvorstände existente Zahlungsverkehr längst nicht mehr mit den Anforderungen des Marktes deckungsgleich. Das „Girokonto“ braucht einen ganz neuen Blick, einen neuen Funktionsumfang und am besten auch gleich eine neue Bezeichnung!