Vom Unternehmen 1.0 zum Unternehmen 2.0 – Teil 3

Der Produktivitätskiller E-Mail

Eine besonders unproduktive Ausprägung des In­for­ma­tions­­über­flusses ist die klassische E-Mail. Wobei klassisch hier bedeutet, dass E-Mail heute ebenso selbst­ver­ständlich zum Büroalltag gehört wie früher eine Schreib­maschine und ein Blatt Papier.

In vielen Unternehmen werden Mitarbeiter regelrecht täglich mit E-Mails „zugeschmissen“. Oft sind die ersten Tage nach einem Urlaub mit dem Bearbeiten der Mailbox belegt. Oft haben sich Informationen längst zum Zeit­punkt der Kenntnisnahme erledigt – die Verteilung ist damit ähnlich produktiv wie die der Werbeprospekte im privaten Hausbriefkasten nach einem mehrwöchigen Erholungsurlaub.

Verstärkt wird dieses Phänomen in Unternehmen, die Mitarbeiter dazu erziehen, dass sie „sicherheitshalber“ eine E-Mail lieber an einen zu großen als an einen zu kleinen Verteiler verschicken.

In der direkten und zeitversetzten Kommunikation zwischen zwei Personen ist die E-Mail sicherlich ein hilfreiches und produktives Medium. Sind aber mehrere Empfänger betroffen, wird die E-Mail mit jedem weiteren Namen im Empfängerkreis unproduktiver. Jeder kennt sicherlich das Beispiel einer Präsentation oder eines Textdokuments, welches nacheinander von mehreren Personen ergänzt werden soll. Schon nach wenigen Weiterleitungen ist oft nicht mehr klar, wer die neueste Version des Dokuments in seiner Mailbox hat.

Technisch ist eine E-Mail heute innerhalb von Sekunden beim nächsten Empfänger angekommen. Tatsächlich dauert es in der Praxis oft Tage, bis eine weiterzuleitende Information per E-Mail eine Kette von Empfängern durchlaufen hat – eben genau so lange, wie die Summe der Zwischenstationen für eine Weiterleitung benötigt hat.

Erstaunlicherweise sind wenige Mitarbeiter tatsächlich in der Bearbeitung ihrer E-Mails strukturiert und orga­nisiert. Regelmäßig kann man Eingangsordner sehen, die überquellen und bei denen der Eigentümer auch nicht mehr genau weiß, welche E-Mails eigentlich welchen Status haben. Die wenigsten E-Mail-Programme bieten dazu auch sinnvolle Funktionen. Und ist eine E-Mail erst einmal in einem vermeintlich hilfreichen Ordner ver­schwun­den, so ist sie mit hoher Wahr­schein­lich­keit auch aus dem Fokus des Anwenders entfernt. Anders lassen sich die vielen „übersehenen“ E-Mails kaum erklären.

Trotz dieser hohen Unproduktivität sind die Mailboxen der Mitarbeiter inzwischen die wichtigsten Wissens­quellen geworden. Verlässt ein Mitarbeiter ein Unter­nehmen und nimmt seine Maildatenbank mit, hat er meist alle Informationen seines Arbeitslebens zusammen.

Andererseits haben die wenigsten Unternehmen klare Prozesse zur Überführung dieses Wissens auf den Nachfolger. Und selbst wenn Prozesse da sind, scheitern die meist an der Unstrukturiertheit der einzelnen Datenbanken. Das Wissen ist oft verloren.

Man muss sich klar machen, dass die E-Mail immer ein Speicher von persönlichen Informationen ist. Die Mailadresse ist einer Person zugeordnet und diese Person ist Eigner der Informationen. Sollen die Informationen geteilt werden, so werden sie in der Regel dupliziert. Dies passiert durch Kopie der E-Mail beim Versand an mehrere Empfänger oder durch spätere Weiterleitung.

Dieses Problem ist den Unternehmen mehr oder weniger klar. Damit sollte eigentlich auch klar sein, welche Kosten so entstehen. Und damit sind gar nicht die Technikkosten für die Speicherung der Informationen gemeint. Diese sind bei den heutigen Hardwarepreisen eher marginal. Vielmehr sind die Prozesskosten und die Wieder­beschaffungs­kosten für das verlorene Wissen gemeint.

Umso erstaunlicher ist es, dass die wenigsten Unter­nehmen sich mit diesem Thema auseinander setzen. Stattdessen werden fachliche Prozesse immer stärker optimiert mit dem Ziel, dort die letzte Minute herauszuholen. Es wird viel Geld in fachliche Anwendungen gesteckt, um diese schneller zu machen. Das aber ein Mitarbeiter nach einer Woche Urlaub rund einen Tag benötigt um seine Mails zu bearbeiten interessiert scheinbar niemanden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Einführung der E-Mail in den Unternehmen durchaus Fortschritte, aber auch immense Nachteile gebracht haben. Technisch lässt sich die Zustellungsgeschwindigkeit der E-Mail nicht mehr optimieren. Weltweit und an fast jedem Ort ist eine E-Mail innerhalb von Sekunden zugestellt – sei es im Büroumfeld oder auch wenn der Benutzer unterwegs mobil darauf zugreift.

Sicherlich könnte man das E-Mail-Management in vielen Programmen deutlich optimieren und durch Schulung der Mitarbeiter zur Eigenorganisation auch Fortschritte erzielen. Das Grundproblem der E-Mail bleibt aber erhalten und lässt sich auch nicht lösen: E-Mail ist eine bidirektionale Kommunikationsform zwischen zwei Punkten und immer auf Personen bezogen.